Stuttgart St. Eberhard
Seitdem 1534 das Herzogtum Württemberg die Reformation angenommen hatte und der Protestantismus nach 1648 endgültig Staatsreligion geworden war, konnten sich keine Katholiken in Stuttgart mit Bürgerrecht niederlassen. Hofen und Oeffingen, die zur katholischen reichsritterschaftlichen Herrschaft in Neuhausen gehörten, blieben für längere Zeit die katholischen Enklaven im Stuttgarter Raum. Erst mit der Regierungsübernahme des zum Katholizismus konvertierten Prinzen Karl Alexander (1684-1737) wurde 1734 eine katholische Hofkapelle eingerichtet, die mit durchschnittlich fünf Geistlichen neben der Seelsorge und Sakramentenspendung für die Katholiken am Hof in Stuttgart, Hohenheim, Ludwigsburg und der Solitude auch mit der Pastoration der Katholiken in der Stadt betraut war. Nachdem der protestantische Herzog Friedrich I. (1754-1816) im Jahr 1798 die katholische Hofkapelle wieder aufgelöst hatte, stellte er den Katholiken in Stuttgart zunächst als "Bethäuser" für lediglich private, d.h. nicht öffentliche Gottesdienste das Auditorium der Hohen Karlsschule, der Militär-Akademie unmittelbar hinter dem Neuen Schloss, und im Oktober 1806 die Garnisonskirche im Hospitalviertel zur Verfügung. Der Unterhalt musste aus dem Erlös großer Teile der Paramente und Kirchenschätze bestritten werden. Kirchenrechtlich wurde die Gemeinde dem alten süddeutschen Bistum Konstanz angeschlossen.
Friedrich hatte zum 1. Januar 1806 die Königswürde und die Herrschaft über ein infolge des Reichsdeputationshauptschlusses um säkularisierte katholische Territorien bedeutend vergrößertes Gebiet übernommen. Im Württembergischen Religionsedikt vom Oktober 1806 wurde den Katholiken das Recht auf öffentliche Religionsausübung gestattet und die kleine katholische Gemeinde zur Pfarrgemeinde "umgeschmolzen". Der bisherige "Prediger" Heinrich von Brentano (1768-1831) war damit erster nachreformatorischer katholischer Stadtpfarrer.
Stuttgart mit dem Neuen Residenzschloss als letzter barocker Schlossanlage Deutschlands sollte nun nach dem Willen König Friedrichs I. als repräsentativer Mittelpunkt des neuen Königreichs ausgebaut werden. Nikolaus von Thouret (1767-1845) plante nach der Schleifung der alten Stadtbefestigung vom Schloss aus in den bisherigen herzoglichen "Herrschaftsgarten" hinein die Königstraße, an der auch die Stuttgarter Katholiken - neben dem Königlichen Marstall - eine neue Bleibe bekommen sollten. Dazu wurde die von Hofbaumeister Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer (1746-1813) 1769 erbaute Reithalle und kurzzeitige evangelische Kirche auf der Solitude abgebaut und unter Verwendung dieses Baus 1808-1811 an der Königstraße von Fischer und Thouret die neue katholische Kirche aufgebaut. Am 1. Oktober 1811 weihte der Augsburger Weihbischof Franz Xaver Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst (1745-1819) die vornehmlich aus Beständen der Klöster Zwiefalten und Weingarten ausgestattete Kirche, die auf Wunsch von König Friedrich I. unter das Patronat Eberhards gestellt werden und damit einen großen Namen aus der Geschichte des Hauses Württemberg tragen sollte.
Nach Heinrich von Brentano amtierte seit 1808 als Stadtpfarrer und Mitglied im "Königlich Katholischen Geistlichen Rat", der staatlichen Religionsbehörde, Johann Baptist Keller (1774-1845). Er wurde 1816 zum Provikar des Generalvikariats Ellwangen ernannt und zum Titularbischof von Evara geweiht, 1819 als Generalvikar mit Sitz in Rottenburg als katholischer Ordinarius für das Königreich Württemberg installiert und übernahm nach der Errichtung des Bistums Rottenburg 1821 am 21. Mai 1828 als erster Diözesanbischof die Leitung der heutigen Diözese.
Mit der Etablierung der Religionsfreiheit, dem Ausbau Stuttgarts und schließlich der Industrialisierung wuchs die Zahl der Katholiken in Stuttgart von 140 (0,6% der Einwohner) im Jahr 1807 auf über 10.000 im Jahr 1871 (ca. 12%). Aus der "1. Stadtpfarrei" St. Eberhard gingen 1858 St. Martin in Cannstatt, 1879 St. Maria für den Stuttgarter Süden, 1899 St. Nikolaus für den Stuttgarter Osten und 1901 St. Elisabeth für den Stuttgarter Westen hervor. Die Zahl der Katholiken stieg nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere durch den Zuzug von Vertriebenen und ausländischen Katholiken bis auf die Höchstzahl von 207.000 im Jahr 1970 (32% der Einwohneran.
Auf Johann Baptist Keller folgte 1816 Anton Sinz (1773-1840), der 1834 Oberkirchenrat im staatlichen Katholischen Kirchenrat wurde. Der Rottweiler Gymnasialprofessor Anton Volz (1803-1843) übernahm das Amt und folgte schon nach sechs Jahren seinem Vorgänger auf dessen Position als Oberkirchenrat. Stadtpfarrer Thaddäus Ritz (1805-1866) versah die Stelle von 1841-1848 in stürmischer Zeit, bevor er Domkapitular und schließlich Domdekan des Rottenburger Kapitels wurde. Anton Dannecker (1816-1881) war zunächst beliebter Vikar an St. Eberhard und wurde 1849 neuer Stadtpfarrer. Dannecker bewährte sich als Förderer des Vereins- und Bildungswesens und des sozialen Engagements der Kirche ebenso wie als kirchlicher Diplomat zwischen König und Bischof und schließlich in den Konkordatsverhandlungen 1854 zwischen dem König von Württemberg und dem Heiligen Stuhl. Vom Papst zum Päpstlichen Ehrenprälaten ernannt, wurde Dannecker 1860 Domkapitular und 1868-1878 Abgeordneter im Landtag. 1861 folgte für 32 Jahre Friedrich Zimmerle (1816-1893) und sorgte in den unschönen Intrigen gegen den Rottenburger Bischof Joseph von Lipp (1795-1869) sowie in der Zeit nach dem Ersten Vatikanischen Konzil für eine kirchenpolitisch zurückhaltende, dafür pastoral umso fruchtbarere Entwicklung der katholischen Kirche in Stuttgart.
Nachfolger wurde Konrad Mangold (1852-1931), in dessen Amtszeit die Ausgründung neuer Pfarreien und der Bau neuer Kirchen für die wachsende katholische Bevölkerung Stuttgarts, das hundertjährige Weihejubiläum der Eberhardskirche, der Erste Weltkrieg, die Gründung des Stuttgarter Caritasverbandes 1917 und der Katholikentag 1925 fielen. Zum 1. Januar 1910 wurde das Stadtdekanat Stuttgart gegründet und Mangold erster Stadtdekan, der vom Heiligen Stuhl den Titel eines Päpstlichen Hausprälaten und vom König den Titel eines Oberkirchenrats verliehen bekam. 1927 übernahm als erster Pfarrer nach dem Ende der landesherrlichen Kirchenaufsicht Rudolph Spohn (1880-1961) für 28 bewegte Jahre die Leitung der Eberhardsgemeinde und dann auch des Stadtdekanats. In seiner Amtszeit endlich konnte 1933/34 die Eberhardskirche renoviert werden. Er erlebte freilich auch, wie die katholischen Verbände und die Bildungsarbeit zerschlagen wurden und wie 1938 Bischof Dr. Ioannes Baptista Sproll aus der Diözese verbannt wurde. Er stand an der Spitze der katholischen Kirche in Stuttgart, als die Stadt in 51 Bombenangriffen schwer geschädigt wurde, einschließlich der Stadtpfarrkirche St. Eberhard. Spohn, der 1946 Päpstlicher Prälat wurde, führte die katholische Kirche in die Jahre des Wiederaufbaus der Kirche und der Kirchen; unter seiner Regie wurde die Eberhardskirche 1953-55 neu erbaut. Nach Spohn übernahm 1955 Monsignore Josef Vogel (1906-1997), zuvor Kolpingpräses, die Leitung der Gemeinde und bald darauf auch des Stadtdekanats. Unter Vogel, seit 1961 Päpstlicher Prälat, wurde die Eberhardskirche weiter ausgestaltet, in seine Amtszeit fiel darüber hinaus auch die Gründung einer Reihe neuer Kirchengemeinden und Erbauung zahlreicher Kirchen sowie das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965). 1970 folgte der bisherige Direktor des Tübinger Wilhelmsstifts Monsignore Erich Sommer (1921-2000), der als Pfarrer und Dekan die pastorale Umsetzung des Konzils begleitete und die Kirche entsprechend den liturgischen Veränderungen des Konzils umgestaltete.
Im 150. Jahr ihres Bestehens, am 30. September 1978, erhielt die Diözese den Doppelnamen "Rottenburg-Stuttgart", und die Eberhardskirche wurde durch Dekret der römischen Kongregation für die Bischöfe zur Konkathedrale und Domkirche erhoben.
1986 übernahm Monsignore Bernhard Kah (geb. 1932), zuvor Regens des Rottenburger Priesterseminars, die Stelle des Dompfarrers und trat zugleich das Amt des Stadtdekans an. Unter ihm wurde 1990/91 die Eberhardskirche grundlegend renoviert, die Seelsorge für die Passanten in der Stuttgarter City intensiviert und der Bau der Domsingschule und des "Hauses der Katholischen Kirche" vorbereitet. Kah, der 1993 den Titel des Päpstlichen Ehrenprälaten erhalten hatte, ging 2001 in den Ruhestand und wurde vom bisherige Dekan von Stuttgart-Bad Cannstatt Michael H. F. Brock (geb. 1961) abgelöst, der, seit 2002 Päpstlicher Ehrenprälat, die Domsingschule in der Landhausstraße (2007) sowie auf dem freigewordenen Nachbargrundstück der Eberhardskirche das "Haus der Katholischen Kirche" (2009) als zentrale und prominente Einrichtung an der Königstraße realisieren konnte. Im Zuge der diözesanen Dekanatsreform wurden 2006 die bisher vier eigenständigen Dekanate der Stadt im Stadtdekanat zusammengeführt und 2010 auch die bis dahin bestehenden Gesamtkirchengemeinden Stuttgart-Mitte, Stuttgart-Bad Cannstatt und Stuttgart-Filder sowie der Gemeindeverbund Stuttgart-Nord mit dem Stadtdekanat rechtlich vereinigt. 2011 wurde der bisherige Pfarrer von St. Elisabeth im Stuttgarter Westen Dr. Christian Hermes zum Stadtdekan gewählt, zum Dompfarrer von St. Eberhard berufen und 2012 zum Monsignore ernannt.